Artikel aus der Ausgabe 11/12-2022 - KGS Berlin - Körper Geist Seele

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Artikel aus der Ausgabe 11/12-2022

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Das Ich und das Ganze ... von Wolf Sugata Schneider


Jahrtausende schon plagt uns die Moral. Sind wir dabei zu besseren Menschen geworden? »Du sollst nicht töten«, sagt ein christliches Gebot, und auch die anderen Religionen und Kulturen enthalten ähnliche Regeln. Bei Hindus und Buddhisten nimmt das Gebot der Gewaltfreiheit sogar noch strengere Formen an. Die Gewalttaten der Christen, Hindus und sogar auch die der ursprünglich so friedfertigen Buddhisten hier aufzuzählen, würde nur den Gruselfaktor dieses Textes erhöhen. Was macht uns Menschen einerseits so sehr um Güte Bemühte und andererseits zu so offensichtlich an diesem Ideal Scheiternden?

Auch die Psychologie mit ihrer Introspektion, ihrer Idee eines inneren Teams kommt da nicht weiter. Unter den in uns wohnenden bunten Gestalten gibt es sogar einen Schweinehund – die Gutmenschen unter uns bemühen sich, den in Schach zu halten. Womit haben Hunde und Schweine diese Namensgebung verdient? Sie führen keine Kriege, sie sind nicht eifersüchtig, sie rächen sich nicht, und sie zerstören die Umwelt nicht annähernd so sehr wie Homo sapiens. Dieses weltbeherrschende Tier an der Spitze der Nahrungskette hat sich den Rest des Biotops so gründlich unterworfen, dass es damit der eigenen Auslöschung kaum mehr entgehen wird – und bildet sich doch ein, gut sein zu können. Was für eine Farce!

Egoismus versus Altruismus
Um den vielen Predigten, die zu diesem Thema schon gehalten wurden, hier nicht eine weitere hinzuzufügen, weise ich lieber auf einen Grundirrtum unserer Ethik- und Moralsysteme hin: Für sich zu sorgen ist schlecht, für andere zu sorgen ist gut. Egoismus, das Maximieren des eigenen Erfolges, ist pfui. Altruismus, der Dienst an der Gemeinschaft, das Beglücken anderer ist hui. Als rücksichtslos und moralisch zu verurteilen gilt ein Mensch, der den eigenen Vorteil auf Kosten anderer durchsetzt. Als gut gilt ein Mensch, der das Ganze im Auge hat, seine Mitmenschen und Mitwesen. Selbstlos zu handeln gilt als gut, selbstsüchtig als schlecht.
Was aber ist dieses Ich, Ego oder Selbst? Wer sich dieser Frage widmet, wird zwischen Egoismus und Altruismus nicht mehr unterscheiden können, denn dieses Ich, Ego oder Selbst des Individuums ist eine Fiktion. Wie könnte »ich« auf Dauer glauben, als ein und dieselbe diesen essenden und scheißenden „Hautsack“ bewohnen zu können? Es genügt doch eine Beleidigung oder ein Lob, schon bin ich nicht mehr derselbe, selbst wenn ich von meinem Über- oder Untergewicht, meiner Fitness, Gesundheit und dem individuellen Lebensalter zunächst mal absehe. Und wenn vor mir ein Kind Hunger hat, sich verletzt oder auf eine viel befahrene Straße läuft, dann kann ich nicht anders als dieses Kind schützen zu wollen – und »bin« im Moment dieses Affektes dieses Kind.
Noch weiter gefasst bin ich meine Wohnung, meine Familie, mein Stamm, mein Freundeskreis, meine Nation oder Kultur, der Biotop meiner Heimat und meines Planeten. Und auch das Beziehungsgefüge, dem ich verbunden bin, geistig wie körperlich. Ich »bin«, was ich esse, noch ehe ich es in meinen Körper aufnehme und bin auch das, was ich davon als unverdaulich wieder ausscheide. Ich bin mein Atem – die Luft, die ich in mich aufnehme und sie dann an die Erdatmosphäre wieder zurückgebe. Auch die Worte, die ich in diesem Text benutze, sind nicht meine eigenen, sie sind mir zugeflogen, ich habe sie hier nur neu kombiniert, und auch das auf eine Weise, die den Influencern meiner Biografie geschuldet ist, nicht meinem kleinen, eitlen Ich.
Mich so auszuweiten, ist das eine Kunst, eine Pflicht oder die Rettung aus der Falle der Ich-Illusion? Vielleicht alles das. Jedenfalls brauchen wir dann keinen inneren Widerling namens Schweinehund mehr zu erfinden, der uns angeblich daran hindert, gut zu sein. Wir brauchen nur dieses Ich oder Selbst zu untersuchen, dieses substantivierte Reflexivpronomen, das schon so viele philosophische Blasen kreiert hat: Womit identifiziere ich mich? Womit fühle ich mich verbunden, auf Augenhöhe, zugehörig, Teil eines Größeren? Das ist dann eine Frage der Erkenntnis, nicht mehr der Moral. »Mensch, erkenne dich« sei die Maxime, nicht mehr »Mensch, bessere dich, werde ein Guter«.

Ignoranz ist das zu Überwindende, nicht Bosheit
Erkenntnis zu erstreben scheint mir erfolgversprechender als das Erstreben von Güte. Meine Strebsamkeit gilt dann der Überwindung der Ignoranz, nicht mehr der Überwindung von etwas Bösem oder Trägem in mir. Was uns daran hindert, gut zu sein, ist so gesehen Dummheit, nicht Bosheit. Den Teufel als Personifizierung des Bösen gibt es nicht, und es gibt auch keine Personifizierung der Dummheit. Es gibt nur Scheuklappen, Wahrnehmungsfilter, Verblendung, Verdrängung, … nicht wahrhaben wollen, Ausreden, Rationalisierung – und ein Aufwachen aus alledem.
Es gibt den Mut, sich Irrtümer einzugestehen. Einsicht und Bewusstseinserweiterung sind möglich. Es gibt nicht nur einen Zoom, der auf etwas Spezielles, Eingegrenztes fokussiert, es gibt auch einen Weitwinkel. Wenn der weit genug geöffnet ist, das Subjekt mit einschließt und die ganze Welt ringsum, dann ist damit der Egoismus aufgehoben – oder so groß geworden, dass alles mit hineinpasst in dieses Ich. Der Weitwinkel der Empathie mit all den anderen fühlenden, wahrnehmenden Wesen, denn auch die sind Subjekte, nicht nur ich. Es stimmt zwar, dass ich die Mitte der Welt bin, aber das bist du auch. Du Mensch, du Tier, vielleicht auch du Pflanze und du Pilz.
Vielleicht ist Bewusstsein nicht nur Beiprodukt eines hochkomplexen Gehirns, sondern ein Aspekt von allem. Licht ist Welle oder Teilchen, die Welt ist Materie oder Bewusstsein. Wie man halt draufschaut und sich das alles erklärt. In der Realität selbst ist weder die eine noch die andere Interpretation vorgegeben. Wenn Bewusstsein erst mit Homo sapiens entstanden wäre, müsste es zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Ruck in der Evolution gegeben haben, eine kategorische Wandlung: Auf einmal ist da nicht nur Materie, sondern Geist, Bewusstsein, Fühlen, Empfinden und Leiden – ein Wunder! Nein, so läuft die Evolution nicht. Sie verläuft allmählich und emergent, nicht ruckartig. Aus Stein, Wasser und Sonnenlicht kann im Lauf der Zeit organische Materie entstehen, aber nicht mit einem Mal Bewusstsein.

Selbsterkenntnis und Welterkenntnis
Für ein sich und die Welt erkennendes Wesen ist Selbstliebe Liebe zur ganzen Welt, denn diese Welt, das bin ich. Sie ist in mir und ich in ihr. Für ein weites Bewusstsein sind Selbsterkenntnis und Welterkenntnis dasselbe. Selbstliebe ist auch die Liebe alles anderen, denn aus diesem Anderen bin ich hervorgegangen und gehe wieder dorthin zurück. Mein Dahingehen ist ein Heimkommen, ein Wiederhineinfallen in das große Ganze, und auch zwischen Geburt und Tod bin ich mit allem verbunden.
Wozu brauchen wir da noch Moral und Ethik? Damit wir bei Rot an der Ampel halten. Solche Regeln vereinfachen das Leben. Sie verringern die Unfälle, sie mindern das Leiden. Unser Bewusstsein schwankt ja zwischen dem kleinen Ich und dem großen Ganzen, dem großen Ich. Dazwischen sind so viele WIRs, das Wir meiner Freunde, meiner Gleichgesinnten, meiner Nation, meiner Mitmenschen und Mitlebewesen. Jedes dieser WIRs ist größer als mein kleines Ich und zugleich klein gegenüber dem Nächstgrößeren, dessen Teil es ist – eine Kette hierarchisch aufgebauter Holons.
Solche Bewusstseinserweiterung kann durchaus auch Bewusstseinserheiterung sein, indem das kleine Ich erkennt, wie komisch es ist, sich für klein und abgetrennt zu halten. Es hält sich für autonom und ist doch nur Partikel innerhalb von etwas Größerem. In der Weite des großen Ganzen löst sich der kleine Egoismus auf. Er bläht sich so weit auf, bis er mit dem ganzen Rest verschmolzen und so nicht mehr sichtbar ist. Weisheit und Güte sind dann dasselbe

Wolf Sugata Schneider, Jg. 52., 1985–2015 Hrsg. d. Zeitschrift Connection. Autor v. »Sei dir selbst ein Witz« (2022). www.connection.de , www.bewusstseinserheiterung.info , www.bachelor-of-being.de

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Wer ist „Gut“? Oder: Die optische Rektitis ... von Julia Kratz


Ich wollte schon immer ein „guter Mensch“ sein – natürlich. Besonders als Frau wird kulturell von mir erwartet „gut“ zu sein. So wurde ich magersüchtig mit 12 Jahren, um „gut“ zu sein. Aber ich war nicht gut: ich war angepasst. Dann habe ich gefressen, gekotzt, gesoffen und mich mit Amphetaminen und anderen Psychopharmaka „ruhig“ gestellt, um jegliche Sehnsucht nach „echt sein“ in mir zu stillen. Das hat mich beinahe umgebracht.
In den langen Jahren meiner Genesung habe ich gelernt, dass das Ziel nicht sein kann, gut zu sein, sondern dass ich danach streben darf, echt zu sein. Der Spruch „Gute Mädchen kommen in den Himmel, schlechte Mädchen kommen überall hin“ ist abgelutscht, behält jedoch seine Richtigkeit. Dabei sollte es trotzdem eher heißen: „ … echte Mädchen kommen überall hin.“ Denn unsere Gesellschaft straft „echte“ Frauen immer noch als „schlecht“. Wahrscheinlich, weil sie unbequem sind. Ich hatte die Illusion, dass ich es vermeiden konnte, nicht nur mich meinen Untiefen zu stellen, meiner Wut, meinem Groll, meinen Ängsten, auch meiner Unehrlichkeit und Ich-Bezogenheit, aber auch meinem Glanz, meiner Kraft und meiner Macht. Der Preis hierfür war Selbstzerstörung und eine Unfähigkeit im Leben tatsächlich zu wirken, und dem Strom des Lebens konstruktiv beizutragen. Ich fühlte mich als Opfer. In Wirklichkeit war ich durch Untätigkeit und Selbstzerstörungswahn Täterin, denn ich konnte dem Leben nur nehmen, aber nichts geben – und dies, obwohl meine Absichten gut waren.
Echt sein bedeutet, dass ich so gut es geht „im Prozess“ lebe, und täglich willig bin, zu reflektieren, mich und meine Ansichten in Frage zu stellen, sie eventuell zu revidieren und auch bereit bin, Wiedergutmachungen zu leisten, wenn ich Dinge nicht besonders gut hinbekommen habe. Echt sein bedeutet, dass ich die Bürde, die ich von vorangegangenen Generationen auf mich genommen habe und schleppe, mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, tunlichst abarbeite, damit ich sie auf künftige Generationen nicht ablade. Echt sein bedeutet, dass ich mich in das Spannungsfeld zwischen mir und meiner Umwelt großzügig hineinbegeben und hinnehmen kann, dass ich nicht ohne ein paar Schrammen herauskommen werde. Ich werde ein paar Federn verlieren, und das ist sogar erwünscht. Denn nicht meine glatte Haut macht mich zur Heldin und bringt mich in meine Kraft, sondern meine Narben und Falten.
Wenn wir also den „guten Menschen“ als handlungsfähigen, wachen, in seiner Kraft stehend und der Gesellschaft konstruktiv beitragenden Menschen definieren, dann möchte ich auch „gut“ sein.
Dies bedeutet, ich muss mich meinem Glück stellen. Und meinem Unglück. Ich möchte frei werden. Ich möchte, dass täglich alle Zellen meines Körpers mit Vorfreude und Freude tingeln, und dass mich ein Wohlgefühl bewohnt, unabhängig von den äußeren Umständen. Dass mein Herz offen für die Welt sei. Ich möchte das buchstäbliche Senfkorn sein, das die Welt verändert. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich – es ist eine lebenslange tägliche emotionale und seelische Hygiene.
Und damit komme ich zur Haltung. Mich bewohnt zuweilen eine Störung oder gar Krankheit, die als „Optische Rektitis“ bezeichnet werden kann. Eine unter den Menschen weit verbreitete Störung, die in Beziehungen, Familien, Institutionen, auf der politischen Bühne enormes Unheil anrichtet.

Die „Optische Rektitis“
Optisch kommt von „Auge“ und Rektitis kommt von „Rektum“. Diese Krankheit beschreibt den Zustand meiner Seele, wenn meine Augen in meinem Arsch sind und daher alles, worauf ich mein Auge lege, voller Scheiße zu sein scheint. Ich kann diese Haltung pflegen und hegen, bis sie ein Teil von mir wird, eine Charaktereigenschaft, eine Lebenshaltung. Ich kann den Tag beginnen mit den Dingen, die in meinem Leben und auf der Welt nicht funktionieren, ich kann meine Aufmerksamkeit darauf richten, was mir heute nicht passt, was weh tut, und warum es schwer sein wird, heute zu leben. Alles kann mich verstören: angefangen damit, dass ich zu dick, zu alt und zu hässlich bin, dass mein Mann neben mir im Bett liegt und atmet, oder dass die Kinder gleich frühstücken wollen. Und je mehr ich auf diese Dinge schaue, desto größer und störender werden sie.
Oder ich kann entscheiden, meine Augen wieder aus dem Arsch zu holen, und eine andere Brille aufzusetzen. Ich meine nicht die rosarote Brille – die andere Verblendung. Ich meine eine Brille, die darauf erpicht ist, Goldblättchen zu sammeln, das Gold im Tag zu sehen, das, was funktioniert, was glänzt, was schön ist an mir, was gut ist an meinem Mann, und warum meine Kinder jeden Tag mein Leben so unglaublich bereichern. Ich kann mich freuen, dass ich lebe und innerlich eine kontinuierliche Dankbarkeitsliste pflegen. Ich kann auf die Welt und in dem Anderen gute Absichten projizieren. Und ich kann täglich üben, in den unvermeidbaren, bevorstehenden täglichen Konflikten meines Lebens, offen, ehrlich, freundlich sowie konstruktiv präsent und handelnd zu sein. Ohne in kindlicher Naivität meinen zu müssen, dass das Leben Konfliktfrei sein müsse.
Das klingt einfach, ist es jedoch harte Arbeit. Denn ich muss mich an einem relativ kurzen liebevollen Zügel halten, besonders am Anfang, bis mir das „Goldblättchen sammeln“ mit der Praxis und mit den Tagen, Wochen, Monate und Jahren mehr und mehr ins Blut übergeht. Großartig dabei ist, dass ich erstens eben nicht von äußeren Umständen abhängig bin und zweitens, dass ich meinen Tag zu jeder Tageszeit einfach neu starten kann. Ein frei verfügbarer Reset: „Augen aus dem Arsch, Julia!“
Vor Jahren hat mir mein damals siebenjähriger Sohn diese krasse Frage gestellt: „Mama, in dem großen Kampf zwischen Gott und dem Teufel, wer gewinnt?“ Ich habe keine Ahnung, woher er diese Frage plötzlich hatte, aber ich wusste, ich muss dem Kind irgendein solides sinnvolles Rüstzeug fürs Leben in meiner Antwort mitgeben.
Also habe ich gut überlegt und gesagt: „In dem großen Kampf zwischen Gott und dem Teufel, möchte der Teufel das wir glauben, dass er gewinnt.“
In diesem Kontext ist Gott für mich der Glanz, die Dankbarkeit, die Freundlichkeit, die Fülle, die Verbindlichkeit im Hier und Jetzt, die Achtsamkeit, die Güte, die Freundschaft, die eigene Durchlässigkeit und diese Fähigkeit, mich zu freuen – die Goldblättchen halt – und manchmal sogar nur der Goldstaub.
Somit sind die „guten Menschen“ jene modernen Alchemisten, diejenigen, die sich unablässig der Aufgabe hingeben, aus Scheiße Gold zu machen – jeden Tag aufs Neue – einfach so.

Julia Kratz ist erfahrene Coach und staatlich geprüfte Heilpraktikerin für Psychotherapie, ausgebildete systemische Familienaufstellerin nach Hellinger, Dozentin in der Erzieherausbildung, staatlich geprüfte Schauspielerin, Tänzerin, Sängerin, Performerin und hat einen Master in "Religion & Culture" an der Humboldt Universität absolviert. www.juliakratz.de

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Warum Sie aufhören sollten, ein „guter Mensch“ sein zu wollen ... von Hermann Häfele


Wie bilden sich in uns die Definitionen und Meinungen, die unser Handeln steuern?
Im Wort Mensch steckt das lateinische mens (Verstand, Geist, Denken) – es bezeichnet also ein denkendes, mit Verstand ausgestattetes Wesen. Genau das ist für unsere Spezies Fluch und Segen zugleich. Zweifelsohne hat der Mensch erstaunliche Dinge entwickelt und erfunden. Doch gleichzeitig führt das zunehmend dazu, dass er meint, die Welt und alles kontrollieren und eben in sein Denken integrieren zu können.
Wir sind gefangen in gewissen Rahmenkontexten, in Muster, Programme, Vorstellungen unserer Eltern sowie Moralkodizes der Gesellschaft, in die wir geboren wurden; und es wären völlig andere, wenn wir in einem anderen Umfeld bzw. einer anderen Kultur groß geworden wären.
So entsteht in uns eine Systemeinteilung aus gut/böse, richtig/falsch, und es entwickelt sich in unserem Denken und Handeln eine Bewertungskaskade: Reize/Auslöser führen zu Annahmen, Annahmen führen zu Bewertungen, diese wiederum zu Meinungen. Meinungen führen zu Beurteilungen und diese oft genug zu Verurteilungen. Das passiert blitzschnell, und im Prinzip ist unser Hirn genau so aufgebaut, solche Entscheidungen, wie „was von etwas zu halten ist“, blitzschnell über unsere Amygdala zu fällen. Natürlich hat das seine evolutionären Vorteile, wir wären ansonsten schnell überwältigt von der Reizüberflutung. 99,996 % aller Reize werden sofort in Richtung Unterbewusstsein geleitet. Nur konsequentes „Bewusstheitstraining“ kann einem klarmachen, welche Entscheidungen da eigentlich innerlich getroffen werden, und dies eröffnet dann zusammen mit zunehmender gesunder Selbstdistanzierung die Chance auf eine ganz neue Qualität der persönlichen Entwicklung – nachzulesen etwa bei Dr. Edith Eva Eger oder bei Viktor Frankl. Letzterer hat es einmal als „die letzte Freiheit des Menschen“ bezeichnet, sich innerlich bewusst anders entscheiden zu können, als es das eigene Muster vorgibt und eben nicht (mehr) alles zu glauben, was einem das „Außen“ oder der eigene Kopf (und die eigene „Blackbox“) an Meinungen und „Be-Urteil-ungen“ auftischt.
Zurück zu dem uns gegebenen Rahmenkontext: Zusätzlich zu dem, was wir mitbekommen haben, gibt es also noch ein Außen, das uns ebenfalls nach Kräften in Sachen Moral und Lebensführung zu beeinflussen sucht: In Deutschland gibt es aktuell 1.773 Bundesgesetze mit 50.738 Paragraphen, außerdem 2.795 Rechtsverordnungen mit ihrerseits 42.590 Paragraphen. Ob diese riesige Anzahl sinnvoll ist, darf bezweifelt werden – schon im 6. Jh. vor Chr. (!) formulierte Lao-Tse im Tao Te King: „Je mehr es Dinge in der Welt gibt, die man nicht tun darf, desto mehr verarmt das Volk.
Je mehr die Gesetze und Befehle prangen, desto mehr gibt es Diebe und Räuber.“
Zum Vergleich: Das vielleicht genialste Gesetzeswerk überhaupt passte auf eine Tafel und hat nur sozusagen zehn „Paragraphen“: Es sind die zehn Gebote.

Was also heißt es, ein „guter Mensch“ sein zu wollen?
Sämtliche Gesetze und Vorschriften zu kennen? Sich nach diesen sowie nach dem, was man als Kind gelernt hat, zu richten? Das gibt eine mächtige, kaum zu bewältigende innere Checkliste.
Und doch versuchen viele, im übertragenen Sinne des Wortes, genau das zu tun, um ein guter
Mensch zu sein. Und dann kommt wiederum Lao-Tse daher und sagt: “Wenn Güte als gut gelten will, wird sie zu Ungutem.“
Da ist vielleicht ein Mensch, der sich bis zur Selbstaufgabe im Job engagiert („einer muss es ja machen“), denn es ist ja „gut“, an andere zu denken und sich für das Große und Ganze einzusetzen. Oder es gibt da eine Führungskraft, die eine Person nur mit Samthandschuhen anfasst („man darf doch nicht so hart mit jemandem sein“), obwohl diese seit geraumer Zeit kaum etwas beiträgt, gleichzeitig jedoch durch ihr Verhalten die Team-Atmosphäre vergiftet.
Als drittes Beispiel gibt es womöglich jemanden, für den eine gute, liebevolle Partnerschaft nur eine solche ist, bei der – etwas kurz und ironisch ausgedrückt – ständig der Himmel voller Geigen hängt, gerade weil ja beide nur ihre „rosaroten“ Seiten zeigen. Da wird womöglich der Partner oder die Partnerin überhöht, und man lässt ihm oder ihr fast alles durchgehen – natürlich auch aus Projektionen, doch besonders, weil es ja „gut“ ist, zu lieben, zu verzeihen und Harmonie zu pflegen.
Und dann wundern wir uns, dass der Versuch, ein „guter Mensch“ sein zu wollen, so oft zu Unglück führt und zwar im Außen wie im Innen.

So stellt sich also die Frage, was dann?
Die Psychoanalytikerin Sabina Spielrein stellte fest, dass der Mensch ein „Dividuum“ sei und meinte damit das Hin- und Hergerissen-sein zwischen dem Ich und dem Wir.
Sie war Schülerin von Carl Gustav Jung, der die Dinge selbst folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Kein Baum, so heißt es, kann in den Himmel wachsen, wenn seine Wurzeln nicht bis in die Hölle reichen.“ Was meinte er damit? Kurz gesagt: Man kann nicht das Eine ohne das Andere haben. Es ist die ständige Negierung und Unterdrückung unserer dunklen Seiten, die das Unglück schafft – und, dass die meisten sich diesen dunklen Seiten nicht stellen wollen. Doch deshalb sind sie allerdings nicht weg, sie wirken weiter aus dem Untergrund.
Überaus praktisch ist es dann, diese dunklen Seiten auf Objekte im Außen zu projizieren. Wenn dabei auch noch Politik und Medien kräftig unterstützen und solche Tendenzen durch ihre Definition, was genau „richtig/falsch – gut/böse“ ist, unterstützen, dann ist das Bild komplett. So muss die eigene Komfortzone nicht mehr verlassen werden. Wir glauben, dass das, was wir denken (oder denken sollen), wahr wäre.

„Ich bin ein guter Mensch, wenn …“ Alle Punkte, die nach dem „Wenn“ kommen, werden vom „Wir“, also vom „Außen“ vorgegeben oder werden verstärkt, falls diese Überzeugungen innerlich bereits vorhanden sind.
Hervorragend passt hier der 70. Spruch des wenig bekannten Thomas-Evangeliums, das – kein Wunder – nicht Teil der „offiziellen“ Bibel der Kirche ist: „Wenn ihr das, was in euch ist, hervorbringt, wird es eure Befreiung sein, wenn ihr nicht das hervorbringt, was in euch ist, wird es euch vernichten.“
Es geht somit darum, vollständige Verantwortung für das eigene Leben und alle eigenen Seiten zu übernehmen sowie erwachsen zu werden und so vom „Dividuum“ zum vollständigen Individuum zu reifen, welches seinerseits Teil vom Ganzen ist.

Unser gesamtes Leben ist je nach Standpunkt eine Tragödie oder eine Komödie.
Doch was wäre, wenn wir das, was wir alles in uns anerkennen, ganz „ver-wirklich-en“ und leben, in jeder Stunde und in jedem Detail unseres Lebens? Und nein, das heißt natürlich nicht, dass es legitim ist, dem Nachbarn den Schädel einzuschlagen – sehr wohl aber, eben auch etwa die Wut und den Hass „anzu-erkennen“, die in uns sind. Durch das Hinsehen können diese dann abfließen und werden nicht in den Untergrund gedrückt.

Hören Sie also auf, ein „guter Mensch“ sein zu wollen! Es geht einfach darum, der Mensch zu sein, der SIE sind.


Hermann Häfele begleitet praxis-orientiert Menschen sowie Unternehmen, ihren „Roten Faden“ zu finden und umzusetzen. Erfolgscoaching für Positionierung und Umsetzung, bei Krisenbewältigung und für persönliche Weiterentwicklung. Weitere Infos unter www.roter-faden-coaching.de oder hh@roter-faden-coaching.de

Hinweis zum Artikelbild: © Ursula Deja - Adobéstock



Erlaube Dir, Mensch zu sein ... von Katja Neumann


Was bedeutet es, Mensch sein?
Die Natur des Menschen ist empathisch, hilfsbereit, miteinander verbunden und aufeinander schauend. Aber das ist nicht das, was wir gerade hier tun und „er-leben“. Wir leben gegen unsere Natur, weil wir es zulassen.

Die inneren Monster
Wir alle, jeder einzelne, möchte geliebt werden. Das ist das Elixier, für das wir leben und das uns nährt. Wir sehnen uns nach Zuwendung, nach tiefer echter Berührung und Anerkennung, nach gesehen und verstanden werden, nach Toleranz, unsere Meinung haben und sagen zu dürfen, nach Bedingungslosigkeit.
Trotzdem benehmen wir uns doch immer wieder wie gedankenlose „unempathische“ Stoffel im Porzellanladen – quasi nebenbei. Während wir gehen, schauen wir auf unser Handy, schneiden anderen dadurch den Weg ab, verstellen den Weg, zwingen Mitmenschen zu Vollbremsungen oder verursachen kleine und größere Unfälle und merken es oft nicht mal. Wir meinen als Radfahrer/Autofahrer/Fußgänger im Recht zu sein und finden nichts Verwerfliches daran, den anderen Verkehrsteilnehmern wüste Dinge an den Kopf zu brüllen – lassen unseren Frust dabei an einem völlig Unbekannten aus. Wir gehen bei Rot über die Straße, obwohl Kinder an der Ampel stehen. Wir stellen unseren Sperrmüll einfach irgendwo hin und übernehmen nicht die Verantwortung. Anschaffen und ranschaffen ging, aber das Entsorgen soll bitte irgendwer anderes machen. Wir schauen der Kassiererin, die einen harten Job macht, nicht mal in die Augen, geschweige denn, dass wir Danke oder Auf Wiedersehen sagen. Wir ignorieren uns so gut es geht.
Online in der Anonymität ist es noch schlimmer. Menschen, die wir nicht einmal kennen, werden beleidigt. Es ist Usus für alles und jeden, Bewertungen und Sternchen zu verteilen, was vor allem bei Nichtgefallen gerne und ausgiebig getan wird. Wir schimpfen und verurteilen schnell und viel, aber loben wenig.
Gleichzeitig tun wir Dinge, die wir nicht wollen, um geliebt oder zumindest gemocht zu werden. Wir ertragen es nicht, abgelehnt zu werden. Sagen deswegen lieber nicht, was wir denken oder brauchen, sagen nicht nein, obwohl wir nicht wollen – zu der Weihnachtsfeier mit einer Familie, die uns fremd ist, zu Sex, der nichts mit Nähe zu tun hat, zu Jobs, die wir hassen … alles, weil man es so macht. Weil es eben so ist und schon immer so war. Weil man normal sein möchte. Weil man vielleicht auch einfach zu bequem ist und die Verdrängungsmechanismen ja ganz gut funktionieren – zumindest eine Zeit lang. Und man sagt „man“, obwohl man „ich“ meint. Wir sind nebeneinander einsam, lächeln und funktionieren. Wir sind von uns selbst abgetrennt, aber da es alle anderen auch sind, ist das ja okay. Warum tun wir das?

Wir alle sind tiefe Wasser
Es gibt zwei Seen, an denen ich gern und seit vielen Jahren regelmäßig spazieren gehe, die auch relativ nah beieinander liegen, ähnlich groß sind und beide von Wald umgeben sind. Um beide kann man in einer guten halben bis dreiviertel Stunde herum gehen. Der Unterschied ist, dass sich an dem einen See die Menschen grüßen, die sich entgegen kommen, an dem anderen nicht. Das ist wirklich auffällig. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber klar ist, welchen See ich doch ein bisschen lieber mag. Diese winzig kleine Geste, die nicht weh tut, keine Kraft kostet, sondern im Gegenteil, das eigene Herz erfreut. Es ist so erstaunlich wie einfach und doch anscheinend so schwer. Ich bin auch manchmal anfangs noch überrascht, wenn mich der erste Spaziergänger, dem ich begegne, grüßt. Es ist so ... ungewohnt, aber dann tue ich es einfach auch, weil es Freude macht. Und es bedeutet, diese Kettenreaktionen funktionieren genauso im Positiven, wenn wir es nur wollen, wenn wir uns erlauben, nett zu sein. (Ist es, ganz nebenbei, nicht schlimm, dass „Nett“ als die kleine Schwester von „Arschloch“ bezeichnet wird – so der gängige Spruch – und was sagt er über uns aus?)
In dem Moment, in dem ich einen anderen Menschen wirklich ansehe – und das tue ich, wenn ich grüße – sehe ich oft seine müden Augen, eine nicht einfache Vergangenheit im Gesicht, die Sorgenfalten oder die hängenden Schultern.
Und dann weiß ich wieder, dass wir alle ein Herz* haben, wahrscheinlich alle einmal verletzt wurden, schwierige Zeiten durchgemacht haben. Die meisten machen so gut, wie sie eben können. Es steht mir nicht zu, sie dafür zu bewerten oder gar schlecht zu behandeln, weil sie vielleicht einfach nicht schneller, besser oder anders können. Weil ihre Wahrheit und ihre Welt eine andere ist als meine. Dann ist ein Lächeln ganz einfach und kommt von ganz tief innen.
(*Es gibt tatsächlich auch Menschen ohne Herz, sogar ohne Seele – gar nicht so wenige – aber von denen rede ich hier nicht, um die soll es nicht gehen. Ich rede hier von uns.)

Die fünf Seelenwunden der Kindheit
Eine Freundin von mir wurde regelmäßig fast aus dem Fahrstuhl an der S-Bahn geworfen, weil sie weder einen Kinderwagen, noch Krücken oder Rollstuhl dabei hatte und nicht den Kopf unterm Arm trug. Man sieht ihr ihren Herzfehler nicht an, aber dennoch ist er da und macht es ihr fast unmöglich, die oft langen Treppen zum Bahnsteig zu erreichen. Sie ist zu langsam für diese Welt. Tonfall und vorschnelle Vorurteile waren beispiellos. Unterirdisch.
Das steht für mich immer noch symbolisch für das, was wir jeden Tag mit Menschen tun, ohne darüber nachzudenken, was sich hinter dem Verhalten, hinter dieser Stirn und in diesem Herzen verbirgt, was er oder sie vielleicht gerade trägt an Last und Schmerz.
Wunden sind selten offensichtlich, man sieht sie nur, wenn man sich die Mühe macht, genau hinzusehen – manchmal nicht einmal dann.

Aus der „Mondmeditation zur Heilung emotionaler Wunden nach Anthony William“ lassen sich diese Wunden in fünf Seelenwunden einteilen: Ablehnung, Verlassen-werden, Demütigung, Vertrauensbruch und Ungerechtigkeit.
Wahrscheinlich kennt jeder von uns eine und trägt von mindestens einer noch die Narben – manchmal besser, manchmal schlechter verheilt und manchmal gar nicht.
Welche kennst Du? Von Dir selbst? Von Menschen, die Dir nahe stehen? Und gestehst Du den Menschen, die Dir nicht nahe stehen, diese Wunden auch zu? Kommt es Dir überhaupt in den Sinn?
Als ich meine Hündin vor zwei Jahren einschläfern lassen musste, war ich natürlich traurig. Sie hat mir gefehlt bei jedem Schritt – Jeder kennt diesen Schmerz, der einen dann manchmal so von hinten überrascht und übermannt, dass man keine Luft mehr bekommt, stehen bleiben muss, nichts mehr sieht vor Tränen. Umso tragischer, dass ich dann angeschrien wurde von einem Fahrradfahrer auf dem Bürgersteig, weil ich nicht schnell genug zur Seite gehüpft bin.
Sollten wir nicht zuallererst fragen: Ist alles gut bei Dir? Kann ich helfen? Oder einfach mal sagen: Entschuldigung, das war mein Fehler.
Wir messen mit unterschiedlichen Maßstäben, möchten respektvoll behandelt werden, finden es zum Beispiel unmöglich, wenn uns der Arzt drei Stunden warten lässt, um uns dann drei Minuten zu empfangen, und das ohne von seinen Notizen hoch zu sehen. Wir sind aber selbst auch nicht besser, wenn wir in der Stadt unterwegs sind, als wäre jeder potentiell ein Feind – oder ist es zumindest nicht wert, angesehen, geschweige denn, angelächelt zu werden. Ja, Stadt ist anstrengend, aber WIR machen den Ort zu dem, was er ist. Und wir begegnen vorrangig dem, was wir senden.
Wir können nur bei uns beginnen, wenn wir möchten, dass sich etwas ändert. Ja, es ist leichter, sich aufzuregen, wenn doch selbstverständlich immer die anderen schuld sind. Das gibt es diesen Spruch ... irgendwas mit: … vor der eigenen Tür kehren. Er ist ein bisschen in Vergessenheit geraten oder vielleicht doch nicht? „Man“ könnte ja mal vor der eigenen „Seelenhaus“-Tür anfangen:

Das eigene Seelenhaus
Eine schöne Übung oder schamanische Reise aus meiner Praxis, die ich hier teilen möchte, ist die zum eigenen Seelenhaus. Darauf gekommen bin ich vor langer Zeit während meiner schamanischen Ausbildung. Da habe ich auf meinen Reisen immer wieder ein Haus gesehen und fragte meinen Spirits, was das sei. „Deins“ hieß es nur und ich habe es mir genauer angesehen, bin reingegangen habe es erkundet, war begeistert, bis ich den Wasserschaden im Keller entdeckte. (... Ja, die Psychologen unter uns freuen sich über so etwas immer.) Bei vielen Reisen habe ich also immer wieder den Wasserschaden beseitigt. Irgendwann war´s dann gut. Ich konnte mich dem Rest des Hauses widmen, verändern, schöner machen, aufräumen. Und ich behaupte, es hat mich verändert, nach und nach. So habe ich dann auch angefangen, mir die Seelenhäuser meiner Klienten anzusehen – natürlich immer mit ihrer Erlaubnis. Alles war dabei: Schlösser – wunderschön, aber ohne Zugbrücke über dem Wassergraben; Häuser – riesengroß, aber ohne Stockwerke oder ohne Fenster oder ohne Möbel oder ganz verstaubt; Häuser mit vielen unerwünschten „Gästen“ oder von vorne eine beachtliche Hütte und von hinten nur eine Filmkulisse aus Pappe. Das Schöne ist, alles lässt sich ändern, denn wir sind ja Chef von unserem Seelenhaus, von unserem Leben, von unserem Universum. Wir dürfen die Fülle leben, so richtig klotzen, wenn es uns gefällt, genauso dürfen wir den Minimalismus leben, so wie wir eben auch als Menschen sind. Weißt Du denn, wie Du bist?
Wenn Du die Augen schließt, was siehst Du dann? Also ehrlich, wie geht es Dir? Wirklich? Wie würde das als Haus aussehen? Versuche Dir nichts vorzumachen. Sieh die Baustellen, den Staub, die Mitbewohner, die Du vielleicht nicht da haben möchtest. Und dann – was würdest/willst Du tun, damit Du Dich wieder wohl fühlst? Wie möchtest Du, dass deine Seele wohnt? Wo? Wie sieht die Landschaft aus? Ist das Haus aus Holz oder aus Stein? Gibt es Tiere? Sind vielleicht Deine Krafttiere dabei und helfen Dir?
Das Haus kann man ebenso gut schamanisch bereisen, wie meditieren, als auch einfach abends im Bett vor dem inneren Auge entstehen lassen. Wie bei vielem gilt auch hier, wenn sich was verändern soll, heißt es, dran bleiben, immer mal wieder schauen, was es zu tun gibt. Wie in jedem normalen Haushalt, im Leben, in der Beziehung gibt es immer etwas zu tun. Das kann und darf auch Spaß machen. Letztendlich kommt es einer positiven Programmierung gleich. Wenn Du in Deinem Seelenhaus stehst und Dich wohl fühlst, dann ist das auch die Energie, die Du anziehst – ganz das Resonanzprinzip. Je aufgeräumter, entstaubter, klarer, offener und heller Du bist beziehungsweise Dein Seelenhaus ist, desto mehr aufgeräumte und helle Menschen und Momente ziehst Du an. Und vergiss bitte nicht, dass alle Menschen in ihren Seelenhäusern zu tun haben. Danke.
Sei einfach nett. Das gibt dir Pluspunkte auf dem Karma-Konto und ein gutes Gefühl am Ende des Tages. Und vielleicht hast du dem einen oder anderen Menschen ganz aus Versehen sogar den Tag gerettet. Erlaube Dir, Mensch zu sein und erlaube es den anderen auch.

Katja Neumann ist seit fast 20 Jahren schamanische Heilpraktikerin für Menschen und Tiere mit eigener Heilpraxis in Berlin/Prenzlauer Berg, gibt Einzelsitzungen und bietet in regelmäßigen of-fene Gruppen auch das Erlernen des schamanischen Reisens und fortführend, was man damit dann tun kann, an. Weitere Infos zu ihrer Arbeit finden Sie unter www.katja-neumann.de

Hinweis zum Artikelbild: © pronoia - Adobéstock



Der wunderbare Heilungsprozess des Loslassens und Sich-selbst-Freilassens ... von Amir Weiss und Christiane Schmidt


Setzen Sie Ihre Brillanz frei, indem Sie loslassen, was nicht mehr gebraucht wird
Wir Menschen müssen immer wieder loslassen, um frei sein zu können, um offen für das Unbekannte, das neue, frische Leben sein zu können. Diese Erkenntnis ist seit vorsokratischen Zeiten bekannt. Aber selbst wenn wir über Erkenntnis und Einsicht verfügen, selbst wenn wir uns nach Freiheit sehnen, fällt es immer wieder schwer, loszulassen.
Sogar das, was wir in unserem Leben nicht mehr haben wollen, halten wir manchmal mit großer Beharrlichkeit fest, ohne verstehen zu können, warum wir das tun. Warum ist das so? Lässt sich dieses Festhalten auf persönliche Willensschwäche zurückführen?

Wir widmen diesen Artikel der Beantwortung der Frage, warum es dem Menschen trotz seines ausgeprägten Wunsches nach Freiheit oft so schwerfällt, loszulassen. Da wir im Weiss-Institut schon seit vielen Jahren nach schlüssigen Antworten auf diese Frage forschen, möchten wir Ihnen einige unserer Kernthesen zur Verfügung stellen:

Wir leben heutzutage in einer Welt mit einer Ökologie, die größtenteils stark verschmutzt ist. Physisch und in seinem feinen, elektrischen Leben ist der Mensch vielen Belastungen ausgesetzt, für die das menschliche System nicht ausgelegt ist. Darauf reagiert der Mensch mit Stress. Es handelt sich nicht nur um Elektrosmog. Alle elektrischen Signale aus dem TV und anderen Medien, auch Geräusche, Lärm, Licht und die Qualität unseres menschlichen Miteinanders tragen zur elektrischen Verschmutzung unser aller Leben bei.
Da wir diesem Stress nur schwerlich entrinnen können, betäuben immer mehr Menschen ihr Stress-Erleben – häufig sogar mit noch mehr Aktivitäten, übervollen Terminkalendern, noch höher gesteckten Zielen. Sogar die Erholungszeit wird verplant und soll Erfolg generieren. Und auch mit Hilfe von Alltagsstimulanzien (Alkohol, Zucker, Kaffee und Nikotin) wird versucht, dem Stress zu entrinnen. Solche kurzfristig erlebte Entlastung führt jedoch auf Dauer in einen Teufelskreis, in dem der Mensch nicht nur weiterhin dem Stress ausgesetzt bleibt, sondern sich selbst zu schädigen beginnt, woraus sich viele Menschen ohne Unterstützung nicht mehr befreien können. Dass der alltägliche Stress jedoch die erste Betäubung der menschlichen Lebendigkeit, sogar „Die Sucht unserer Zeit“ ist, und erst dann zur Betäubung der Stress-Symptome zu weiteren betäubenden Stimulanzien gegriffen wird, ist vielen Menschen nicht bewusst.
Die gute Nachricht: Mit dem grundlegenden Wissen über diese Zusammenhänge können wir Wege finden, uns selbst sauber und frei zu halten und mit dem natürlichen Rhythmus des Lebens zu fließen. Das beginnt immer wieder nur bei uns selbst und hat nichts mit anderen Menschen oder den Umständen unseres Lebens zu tun.
Wie sieht es also mit dem grundlegenden Loslassen und sich selbst sauber- und freihalten aus? Dazu ist es erforderlich, zunächst unsere Verletzungen, Traumata, Frustrationen, Urteile (über uns selbst und andere), unsere alten Gewohnheiten und Muster, die uns blockieren, unsere Selbsttäuschungen, unsere großenteils unnötigen Sorgen und Ängste, Schuldgefühle und mangelndes Vertrauen, unsere Überkontrolle und Obsessionen, unser Mobbing, unsere Heuchelei, Grausamkeit – sogar uns selbst gegenüber – zu erkennen und zu begreifen, woher dies alles stammt. Diese Liste ließe sich sicher noch verlängern.
Wie kann man also diese Dinge loslassen? Nun, das erste Heilmittel ist das Wissen und Verstehen, dass wir Teil eines viel größeren Systems sind, und dass wir entweder voll und ganz daran teilhaben, weil wir uns dafür entschieden haben – oder wir erschaffen Blockaden in uns selbst und im gesamten System.
Loslassen ist Teil aller natürlichen Prozesse im gesamten Universum, auf unserem Planeten und so auch in unserer menschlichen Existenz. Loslassen ist immer wieder notwendig, um uns zu reinigen, das Gleichgewicht zu erhalten, das Leben zu verfeinern, die menschlichen Systeme zu heilen und neu auszurichten, damit sie wieder frei und wie natürlich vorgesehen funktionieren können.
Die Natur – und damit auch wir Menschen – nehmen ständig auf und geben ab. Erstens verarbeiten wir Nahrung/Energie und scheiden sie wieder aus/geben sie wieder ab. Auf den vier Ebenen der Ernährung verarbeiten wir unablässig Nahrung in fester, flüssiger, gasförmiger Form (Luft) und in Form von elektrischen Signalen (Eindrücken) von innen und außen. So gelangen gute, schädliche und auch hässliche Dinge in unseren Körper und müssen dort verarbeitet werden. Allein in der Beobachtung unserer Verdauungsprozesse können wir sehr klar das Prinzip der „Homöostase“, der permanenten Aufrechterhaltung eines dynamischen Gleichgewichts all unserer Systeme im Austausch mit unseren Umwelten erkennen. Hier kann ein neues Staunen über unsere höheren, feinen, menschlichen Systeme beginnen.
Wenn wir diese grundlegenden Tatsachen verstehen, uns ihrer bewusst sind und danach leben, wird uns zweitens klar, dass wir nicht an dem festhalten sollten, was für das menschliche Design und den menschlichen Prozess unnatürlich ist, auch wenn wir es verarbeiten müssen – das Gute, das Schlechte und das Hässliche.
Eine der Tragödien der menschlichen Geschichte besteht darin, dass wir diese einfachen Tatsachen nicht mehr verstehen. Die meisten Menschen nehmen alles persönlich oder identifizieren sich mit alledem, was in ihnen und außerhalb von ihnen geschieht. Menschliche Wesen sind aber keine Einbahnstraßen. Wir sind Empfänger und zugleich Absender. Wir verarbeiten Dinge in uns hinein, und wir verarbeiten wieder aus uns heraus, was nicht (mehr) nahrhaft ist.
Wenn wir diese Prozesse nicht bewusst und achtsam erleben, begehren die meisten Menschen das, was lediglich durch sie hindurch gehen sollte und halten daran fest. Sie identifizieren sich selbst damit, anstatt es zu identifizieren und als nicht zu ihnen gehörig und/oder nicht nahrhaft wieder gehen zu lassen. Sie denken, dass Stimmungen, Meinungen, Ereignisse und Erfahrungen sie selbst sind, dass das ihr ICH sei oder dass dieses ICH ihr gutes, ihr schlechtes oder ihr hässliches ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Dies sind Energien, die durch uns hindurchgehen und dorthin entlassen werden sollten, wo sie hingehören. Sie gehören nicht zu uns.
Drittens ist die wesentliche Voraussetzung für das Loslassen eine sichere Ökologie. Diese beginnt mit sicheren Beziehungen zu den lebenden Systemen in uns selbst und zwischen ihnen und all dem Leben um uns herum. Wenn ich zum Beispiel mit klaren, guten und echten Absichten und Gründen in mir selbst verbunden bin, erleichtert mir diese neue, klare, saubere Ökologie auch das "Loslassen". Sie führt zu einem sicheren Umstand, so dass ich weder mich noch andere dabei belaste, wenn ich etwas loslassen möchte.
Jeder Zeitpunkt ist ein guter Zeitpunkt, und wenn nicht jetzt, wann dann? Jetzt erleben wir die stillere Winterzeit. Sie lädt zur Selbstbesinnung ein, zur Rückkehr zu dem, was in unserem Leben wirklich von Bedeutung ist. Diese Adventszeit, jährliche Einkehrzeit, die uns zur Erwartung des Kommenden einlädt, benötigt freie Räume, Offenheit, noch nicht festgelegte Pläne und Routinen, um für das Kommende, für das ersehnte NEUE Platz zu schaffen. Warum also nicht auch uns selbst reinigen, um uns aus unserer eigenen Sklaverei und von unseren Blockaden befreien und uns selbst in unsere neue Freiheit entlassen?
Was geschehen kann, wenn es uns gelingt, den Ballast, der unser natürliches Leben blockiert, loszulassen? Dann wird der Raum frei für etwas anderes. Wie ein altes Sprichwort sagt: "Nur eine leere Hand kann empfangen und verschenken." Dann kann unser Leben ein Leuchtturm in sich selbst und ein Licht für die Welt werden. Dann können Freundlichkeit, Fürsorge, Mitgefühl, Liebe, Vergebung und Nachsicht, Zärtlichkeit, Hoffnung, Freiheit, Glaube, Freundschaft, Sanftmut, Achtsamkeit, Mut, Geduld und Respekt, Herzlichkeit Einzug halten. Und wahrscheinlich können Sie hier Ihre eigene Liste noch ergänzen.

Zum Schluss noch die Geschichte eines sehr verehrten Zen-Meisters, der erzählt, wie er eines Tages Besuch von einem Gelehrten bekam. Er hoffte, dass dieser Meister ihm die tiefsten Wahrheiten des Lebens offenbaren könnte. Nachdem er den Fragen seines Gastes aufmerksam zugehört hatte, bat ihn der Meister zum Tee, reichte ihm eine Tasse, schenkte formvollendet ein und fuhr damit fort, bis der Tee den Rand der Tasse erreichte und überlief. Der Gelehrte erschrak und bat den Meister, aufzuhören. Schau, der Tee läuft über. Du verdirbst alles. Ja, antwortete der Meister. Die Tasse bist du. Du bist so voll, dass ich dir nichts Wahres, Wirkliches geben kann. Es würde keinen Platz in dir finden und wäre verloren. Damit war die Lektion beendet, und der Gelehrte ging tief in Gedanken versunken davon.

Amir Weiss ist Entwickler der Weiss-Methode und Gründer des Weiss-Instituts. Wenn Sie mehr über die Arbeit im Weiss-Institut erfahren möchten, finden Sie das Buch von Amir Weiss „Gewohnheiten ändern und Sucht loslassen“ unter www.weiss-institut.de/buch-weiss-methode.de sowie vielfältige Informationen und Videos mit Erfahrungsberichten von Teilnehmern auf der Webseite unter www.weiss-institut.de/videos.

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Wenn Leiden einen Sinn haben soll ... von Sabine Groth / Werner Eberwein (Erfahrungsbericht)


„Wie geht es dir?“ fragt er sie. „Danke, gut.“ antwortet sie. Dabei klingen in ihr noch die Fragen nach, die sich ihr aufdrängten, als sie heute Morgen wieder einmal viel zu früh erwachte: Warum bin ich so ängstlich und deprimiert? Wann fühlte ich mich das letzte Mal unbeschwert und frei? Ich meine richtig frei? Welchen Sinn hat mein Leben noch? Und welchen Sinn hat mein Leiden? Wie kann ein Weg aus dem Leid aussehen?

In vielen von uns tauchen diese Fragen auf, wenn uns das eigene Leben um die Ohren fliegt. Dann heißt es, sich für diese Fragen zu öffnen, in die Antworten hineinzuleben und unseren Weg aus dem Leid zu finden. Wie das gelingen kann, beschreibt der folgende Erfahrungsbericht.

Ich leide unter Ängsten und Depressionen. Es geht mir schon lange schlecht. Ich kann mich über nichts mehr richtig freuen. Ich traue mich kaum noch unter Menschen. Ich schleppe mich nur noch mühsam durchs Leben. Komme morgens kaum noch aus dem Bett. Mein Rücken tut ständig weh. Ich war x-mal beim Arzt. Er meint, das sei psychisch. Mein Mann sagt, er hält das nicht mehr lange aus.
Ich muss etwas für mich tun. Ich „googele“ und lese. Die Angebote erschlagen mich total. Ich brauche Hilfe, komme nicht mehr drum herum. Ich suche mir Hilfe. Ich suche mir eine Psychotherapeutin. Es ist nicht leicht, eine zu finden.
Oha, sie hört mir zu. Sie hört mir wirklich zu. Es scheint sie wirklich zu interessieren, was in mir vorgeht. Das ist mir neu. Sie verurteilt mich nicht. Sie bewertet mich nicht. Sie drängt mich nicht. Sie versteht mich.
Sie lächelt mich an. Ich spüre, dass sie mich mag und mich schätzt, obwohl ich glaube, dass ich nichts zu bieten habe. Sie sieht mich als Mensch. Sie ist bei mir. Ich fühle mich sicher. Sie reicht mir die Hand. Ich fühle mich angenommen. Sie bemüht sich um mich. Sie kämpft um Kontakt zu mir. Sie berührt mich … Sie erreicht mich.
Sie findet Worte für meinen Zustand, oder sie hilft mir, selbst welche zu finden. Teilweise sind das ganz neue Worte oder Sichtweisen. Ich beginne, die Dinge aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Oha, manches kann man auch ganz anders sehen.
Sie fühlt mit mir. Manchmal fühlt sie an meiner Stelle. Sie gibt mir Wärme. Sie zeigt mir meine eigene Wärme. Sie schwingt sich ein. Sie schwingt mit mir. Ich spüre das. Ich kann ihr alles sagen.
Sie ruht in sich. Sie verwickelt sich nicht. Sie braucht nichts von mir. Sie wird nicht angesteckt von meiner Dunkelheit. Sie leitet mich an, vom Denken ins Fühlen zu kommen, Kopf und Herz in Verbindung zu bringen. Sie hilft mir, meinen Körper wieder zu spüren und „in meinem Körper zu wohnen“.
Sie zeigt mir auch mal einen Weg. Ist da ein Weg? … Ist das mein Weg? … Sie fordert mich auf, das zu prüfen. Sie ermutigt mich, meinen Weg zu finden. Sie ermutigt mich, einen ersten Schritt zu machen. Und dann langsam größere. Immer einen Schritt nach dem anderen. Auch mal stehen zu bleiben und zurückzuschauen.
Sie lädt mich ein zum Experimentieren. Ich erlebe Dinge, die ich vorher nicht kannte. Sie weist mich auf Dinge hin, dir mir nicht klar waren. Sie lehrt mich, meine Bedürfnisse und Grenzen klar zum Ausdruck zu bringen.
Ich probiere es aus. Es tut gut. Ich komme besser klar.
Sie fordert mich heraus. Sie sucht mich heim. Sie lässt mich nicht wie ich bin. Sie scheucht mich aus meinem Versteck. Ich wage einen Sprung.
Alter Schmerz bricht auf. Das wollte ich nicht fühlen. Ich ertrage es nicht. Lieber wieder in die graue Welt zurückgehen.
Sie erträgt meinen Schmerz mit mir. Sie kennt ihn. Sie beschönigt ihn nicht. Sie macht mir Mut. Ich sterbe nicht daran … Der Schmerz vergeht. Aber es dauert. „Wie lange dauert das denn noch?“ frage ich sie.
Sie ist geduldig mit mir. Sie drängt mich nicht. Sie geht nicht in diese Falle. Das würde auch nichts bringen. Sie folgt nicht dem depressiven, beängstigenden Sog.
Ich sehe da ein Licht am Ende des Tunnels. Gibt es einen Ausweg? Ist das vorstellbar?
Da sind erste Momente der Freude. Sie lacht mit mir, aber nicht über mich. Eine humorlose Therapeutin fände ich unerträglich. Sie ist freundlich und warm. Sie rückt mir den Kopf zurecht. Sie lässt sich nicht einwickeln.
Ich werde stärker. Ich lerne zu verzichten. Ich lerne zu begehren. Ich lerne zu akzeptieren. Ich werde erwachsen.
Manchmal verirren wir uns. Wir gehen Seitenwege. Ich mache Rückschritte. Und überraschende Fortschritte. Es geht immer wieder um dieselben Themen. Wie lange dauert das denn noch? Aber die Perspektive weitet sich.
Freude kommt auf. Ich erlebe etwas Schönes. In meinem Leben ergibt sich etwas Neues. Kann ich schon alleine? Ich gehe meinen Weg.“
Ist das alles leicht? Bekommen wir das in ein paar therapeutischen Sitzungen schnell geregelt? Nein, leicht ist das nicht. Und es braucht Zeit, Mut und viel Kraft. Aber es lohnt sich. Denn dann haben wir die Antworten auf unsere Fragen gefunden. Dann haben wir unserem Leiden einen Sinn gegeben. Dann können wir auf die Frage „Wie geht es dir?“ ehrlich antworten: „Danke, es geht mir ausgezeichnet.“

Sabine Groth ist Lehrtherapeutin, Autorin und Mitgründerin der Feministischen Coaching Akademie (www.feministische-coaching-akademie.de). Sie bietet Jahrestrainings für Frauen und Paare, Seminare, Einzel- und Paartherapie an. www.sabine-groth.com Werner Eberwein ist Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut sowie Autor mehrerer Bücher und Trance-Audios.

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Krankheit als Lernaufgabe – Ein möglicher Weg zum göttlichen Selbst ... von Peter Maier


Die US-amerikanische Erfolgsautorin und spirituelle Lehrerin Louise Hay erkannte als eine der ersten die tiefe Bedeutung von Krankheitssymptomen und Verletzungen. Für sie sind diese als Sprache der Seele und als Aufruf zu ihrer Weiterentwicklung zu verstehen. Bekannt geworden ist Frau Hay vor allem durch ihr Standardwerk „Gesundheit für Körper und Seele“. Darin ist eine lange Liste von Leiden und Krankheitssymptomen zu finden, denen nach Überzeugung von Frau Hay jeweils ein „wahrscheinlicher Grund“ auf der Seelenebene zugeordnet werden kann. Gleichzeitig schlägt sie zu jedem dieser genannten Symptome ein neues, heilendes mentales Gedankenmuster vor. Nachfolgend vier Beispiele aus dieser Liste:
Zur „Angst“ heißt es: „Kein Vertrauen in den Fluss und Fortgang des Lebens“. Als neues Gedankenmuster empfiehlt Frau Hay: „Ich liebe und akzeptiere mich und traue dem Prozess des Lebens. Ich bin in Sicherheit.“
Zu hohem Blutdruck heißt es: „Lange bestehendes, ungelöstes emotionales Problem“. Das neue Gedankenmuster dazu lautet dann: „Freudig lasse ich die Vergangenheit hinter mir. Ich bin im Frieden.“
Zu Krebs sagt Frau Hay: „Tiefe Verletzung. Lange bestehender Groll. Tiefes Geheimnis oder Trauer, die am Selbst nagen. Trägt Hass in sich. Empfindet Sinnlosigkeit“. Das heilsame neue Gedankenmuster wird so formuliert: „Liebevoll vergebe und löse ich alles Vergangene. Ich beschließe, meine Welt mit Freude zu füllen. Ich liebe und akzeptiere mich.“
Die Ursachen von Lungenproblemen schließlich sieht Frau Hay wie folgt: Depression. Trauer. Angst, Leben aufzunehmen. Fühlt sich nicht wert, ganz zu leben“. Das neue Gedankenmuster lautet dazu: „Ich vermag die Fülle des Lebens in mich aufzunehmen. In Liebe lebe ich die Fülle des Lebens.“
Nach Louise Hays Überzeugung ist jeder Mensch wunderbar und heilbar, wenn er sich selbst annimmt und die Schönheit seiner Existenz erkennt. Krankheit ist für sie nichts anderes als der Verlust der inneren Harmonie und des Vertrauens in unser „Göttliches Selbst“. Entscheidend für unsere Heilung ist es, dass wir uns aus der Vorstellung verabschieden, Opfer – etwa der Eltern – zu sein und die Verantwortung für uns und unser Wohlergehen zu hundert Prozent selbst zu übernehmen. Genau damit lassen wir unsere Vergangenheit mit all ihren krankmachenden Strukturen, Mustern und Einstellungen los.
Eine solche (neue) Haltung gibt uns die Möglichkeit, frei zu werden und zu dem „Göttlichen Selbst“ in uns vorzudringen. So gesehen kann man in einer Erkrankung oder in einem hartnäckigen Symptom sogar die Möglichkeit, den Impuls und den inneren Auftrag erkennen, endlich tiefer über sich selbst nachzudenken: über den Sinn, den wir in diesem Leben erfüllen sollen; darüber, was wirklich wichtig im Leben ist; über die Beantwortung der grundlegenden Fragen „Wo komme ich her?“ und „Wo gehe ich hin?“, sowie über den göttlichen Ursprung unserer Existenz. Vor diesem Hintergrund kann eine Erkrankung dazu dienen, aufzuwachen, spirituell zu erwachen, sich über den Sinn dieser Jetzt-Inkarnation tiefer bewusst zu werden und sein Leben grundlegend zu verändern.

Das folgende Beispiel von Jakob zeigt exemplarisch auf, wie hintersinnig eine Verletzung sein kann und wie sie ihn offensichtlich auf das eigentliche seelische Thema hinstoßen wollte, das bei ihm gerade aktuell war. Hören wir nachfolgend seinen Bericht.

Jakob, 42 Jahre (Name geändert): „Wer nicht hören will, muss fühlen.“
„Schon ganz früh in meinem Leben muss ich eine 'Herzmauer' gebildet haben; denn die Erfahrungen mit meinen Eltern in der Kindheit, vor allem die ablehnende Haltung meiner Mutter mir gegenüber schon als kleines Baby, waren zu schmerzlich. Dadurch habe ich emotional sehr lange niemanden mehr an mich heranlassen können. Meine Liebe, mein Mitgefühl und meine Zuneigung zu anderen waren blockiert. Später als Erwachsener haderte ich sogar mit Gott, weil er mir so unmögliche Eltern geschickt hatte.
Ich hatte solch einen tiefsitzenden Groll auf meine Eltern, dass ich jeden näheren Kontakt zu ihnen verweigerte, sobald ich von zu Hause ausgezogen war. Dieser Groll gab mir lange Zeit Motivation und Kraft zum (Über)Leben. Er war sicher Ausdruck meiner Rache für ihre schlechte Behandlung. Aber in dem anhaltenden Groll lag wohl zugleich die tiefere Ursache für meine fundamentale Isolation im Leben.
Je älter ich wurde, umso mehr drängte meine Seele danach, mich anderen dennoch zu öffnen und die schmerzlichen Erfahrungen aus der Kindheit zu überwinden. Dies wollte ich jedoch lange Zeit nicht wahrhaben. Ich hielt reflexartig und stur an meiner Kontakt- und Lebensverweigerung fest. Daran konnte zunächst auch eine Psychotherapie nichts Wesentliches ändern, der ich mich seit zwei Jahren fast wöchentlich unterzog.
Doch dann passierte plötzlich Folgendes: Eines Abends rutschte ich unerwartet aus, als ich soeben aus der Badewanne steigen wollte. Ich knallte mit dem Brustkorb auf den Wannenrand. Dabei wurden zwei Rippen geprellt, die genau über der Herz-Zone lagen. Vier Wochen lang hatte ich große Schmerzen – ganz allgemein bei tieferen Atemzügen, vor allem aber wenn ich schlafen wollte.
Schon kurze Zeit nach diesem Ereignis schoss es mir jedoch wie ein Blitz durch den Kopf und ich verstand den Zusammenhang. Da ich mich innerlich für so lange Zeit jeder Nähe zu anderen Menschen verweigert hatte und meinen Groll auf meine Eltern absolut nicht hatte loslassen wollen, inszenierte mein Unbewusstes offensichtlich diesen Vorfall im Bad: Der Zugang zu meinem Herzen wurde jetzt bei dem Sturz symbolisch mit Gewalt aufgebrochen, indem ich einen kräftigen Schlag auf genau die Rippen bekam, die das 'Tor' zum Herzen bildeten. Man könnte dieses schmerzliche Ereignis auch als Ruf an mich verstehen: 'Mach doch endlich auf! Höre auf, dein Herz so zu verschließen!' Außerdem wurde ich an das Sprichwort erinnert: 'Wer nicht hören will, muss fühlen!'
Aber ebenso schmerzlich wie die körperliche Prellung meiner Rippen war die emotionale Öffnung meines Herzens selbst, die nun unvermeidlich folgte und nicht mehr aufzuhalten war. Davor hatte ich die ganze Zeit starke Angst gehabt, und darum hatte ich bisher mit allen Mitteln versucht zu vermeiden, überhaupt Gefühle zu empfinden. Im Grunde arbeitete ich bisher unbewusst gegen das Bemühen meiner Psychotherapeutin, die mich genau dazu motivieren wollte, emotional endlich aufzumachen. Offensichtlich brauchte es daher die 'Methode Holzhammer'. Ja, es tat zunächst wirklich weh, nochmals an die emotionalen Verletzungen durch die Eltern in der Kindheit erinnert zu werden. Ich fühlte einen ähnlichen Schmerz wie den beim Auftauen gefrorener Hände oder Füße.
Aber dann geschah etwas ganz Unerwartetes: Als die schlimmsten Angst- und Wut-Emotionen abgeflossen waren, erlebte ich einen unglaublichen Strom der Liebe und des Mitgefühls – für mich selbst als kleines Kind. Wunderbar! Dieser warme Fluss positiver Emotionen schwemmte all meine Angst vor Gefühlen und den Groll auf meine Eltern ein für alle Mal hinweg. Ich sah in einem inneren Bild mein Herz jetzt sperrangelweit offen und vom Göttlichen erfüllt. Mein Herz wollte sich plötzlich verströmen – zu allen Menschen, mit denen ich trotz meiner Isolation zu tun hatte. Nachdem etwa vier Wochen später auch die körperlichen Schmerzen abgeklungen waren, fühlte ich mich als neuer Mensch.“

Reflexion: Der Weg zum Herzen wird frei geschlagen
Die Seele hat sich bei Jakob mit Gewalt Zugang zu seinem verschlossenen Herzen verschafft, indem sie ihn dazu drängte, seine psychischen Blockaden endlich aufzulösen. Unsere göttlich-liebende Seele strebt mit der ihr innewohnenden Kraft prinzipiell immer nach Heilung, nach (Selbst)Liebe, nach Ausgleich und Harmonie. Daher haben Verletzungen und körperliche Symptome in der Regel einen tieferen Sinn. Sie wollen auf ein seelisches Ungleichgewicht hinweisen, dieses ins Bewusstsein bringen und uns so dazu anspornen, nach Veränderung und Heilung zu suchen.
Vor diesem Hintergrund könnte die letztlich glimpflich verlaufene Verletzung von Jakob gar nicht symbolträchtiger sein. Dazu musste sie offensichtlich jedoch schmerzlich genug verlaufen, damit Jakob überhaupt bereit war, bei sich näher hinzuschauen. Er selbst hatte ja durch seine Unachtsamkeit am Badewannenrand mit dem eigenen Körpergewicht den Weg zu seinem Herzen symbolisch „freigehauen“.
Bei einem durch Traumata und Schocks in der Kindheit verursachten seelischen Leiden handelt es sich aber nicht um irgendein Thema. Hierbei geht es vielmehr um grundsätzliche „Äußerungen“ des Lebens selbst – um die Kontaktfähigkeit, um Mitgefühl und Liebe, um die Beziehungen zu anderen und zur Welt, um die Klärung der eigenen Kindheits-Themen, um den emotionalen Boden, auf dem man steht, um Lebensfreude und Fröhlichkeit, um den Blick in die Welt und auf das Göttliche.
Durch den Reflexionsprozess, der bei Jakob schon bald nach diesem Vorfall einsetzte, erfolgte eine tiefgreifende Befreiung von all dem unbewältigten Müll aus seiner Vergangenheit. Er nutzte den „Unfall“, um seelisch aufzuwachen und sein schmerzhaftes Erleben dabei nicht nur als „blödes Widerfahrnis“, sondern als Lernaufgabe und Herausforderung zur seelischen Entwicklung zu sehen.
Das entscheidende innere Bild, das Jakob in einer Tagesvision nach dem „Unfall“ bekam, war sein offenes Herz, das von Liebe überfloss. Dieses schamanische Bild gab ihm eine neue Sicht auf das Leben, vor allem aber ein neues, bisher unbekanntes Gefühl zu sich selbst, das ihn aus seiner furchtbaren Isolation befreite und heilte. So konnte Jakob zu einem neuen Menschen werden.
Natürlich wäre dieser ganze innere Prozess nicht möglich gewesen, wenn Jakob nicht schon vor dem Sturz eine psychotherapeutische Begleitung gehabt hätte. Vermutlich war die durch den Unfall verursachte Herzöffnung durch die jahrelange Therapie längst vorbereitet worden nach dem Motto: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Aber offensichtlich brauchte es zusätzlich noch dieses einschlägige äußere Ereignis, damit das Tor zur Seele endlich aufgehen konnte.

Fazit
In Krankheitssymptomen und Unfällen sehe ich bei rechter Betrachtung eine sehr ergiebige Quelle dafür, mit unserem „Göttlichen Selbst“ in Berührung und in Kontakt zu kommen. Denn sie ermöglichen es uns, nach den eigentlichen seelischen Ursachen dahinter zu suchen und diese zu beheben, falls wir bereit sind, diese Chance zu nutzen. Krankheitssymptome können somit zu einer Herausforderung und zum Ansporn für eine seelische Weiterentwicklung werden.
Darin liegt ein zutiefst spiritueller Sinn, denn nicht selten kann gerade mit dem Auffinden seelischer Ursachen von Erkrankungen – womöglich ganz unerwartet – eine Begegnung mit dem „Göttlichen Selbst“ in uns stattfinden. Warum? Weil man seelisch sehr tief gehen muss, um psychische Blockaden zu lösen. Dadurch bekommt man unweigerlich Kontakt zu tieferen „Schichten“ in sich selbst.

Peter Maier ist Lebensberater, Initiationsbegleiter und Autor. Sein neuestes Buch „Heilung – Die befreiende Kraft schamanischer Rituale“ ist über Epubli Berlin 2022 erschienen und zum Preis als Print mit Softcover für 16,99 Euro oder als eBook für 10,99 Euro erhältlich. Weitere Bücher von Peter Maier: „Heilung – Plädoyer für eine integrative Medizin“, Epubli Berlin 2020, 1. Auflage, Softcover: 18,99 Euro, eBook: 12,99 Euro „Heilung – Initiation ins Göttliche“, Epubli Berlin 2020, 2. Auflage, Softcover: 18,99 Euro, eBook: 11,99 Euro. Infos und Buchbezug unter www.alternative-heilungswege.de

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Bewegung mit Know-how. Gesunderhaltung durch Training mit den Laban/Bartenieff Bewegungsstudien ... von Antja Kennedy


Es ist allgemein bekannt, dass Menschen, die sich regelmäßig bewegen, seltener krank werden. Aber wie kann diese Bewegung aussehen? Bewegung ist nicht gleich Bewegung. Und immer joggen? Oder in das Fitnesszentrum gehen? Warum nicht „Bewegen mit Know-how“? Da kommt Abwechslung rein, und es geht (fast) jede Bewegung – jetzt mit Know-how. So wird die Absicht noch klarer und das Resultat meist gesundheitsfördernder.
Ein solches Know-how bieten die Laban/Bartenieff Bewegungsstudien. Hier werden körperbezogene, räumliche, dynamische und formende Aspekte einer Bewegung unterschieden sowie zeitliche Aspekte (Phrasierungen) und die Beziehung zwischen Menschen oder Interaktion mit Objekten betrachtet. Wenn wir die verschiedenen Aspekte mit einbeziehen, dann kommen uns sehr vielseitige Bewegungsmöglichkeiten in den Sinn.
Die Bewegung verschiedener Körperteile und Körperregionen ist da nur der Anfang. Mit der somatischen Körperarbeit von Irmgard Bartenieff (1900-1981) können wir uns zentrieren, unseren Körper auf unterschiedlicher Weise verbinden und Durchlässigkeit herstellen. Das Know-how wird hier teilweise von der kindlichen Entwicklungsmotorik abgeschaut – davon wie Kleinkinder ihre Koordination herstellen. Somit klären wir, was wir gerade bewegen und in welchem Zusammenwirken im Körper.
Dann können wir unbekannte Räume erkunden – uns in den vielsichtigen Raumrichtungen unserer persönlichen 360°-Bewegungssphäre entdecken. Nicht nur ein- und zwei-dimensionale Raumwege der sich Bewegenden, sondern vor allem die dreidimensionalen, spiraligen Spurformen zu erfahren, hilft das räumliche Potenzial umfassend zu schulen. Dieses Know-how basiert auf der Idee von Rudolf Laban (1879-1958), den menschlichen Körper in die platonischen Körper hinein zu projizieren und diese als Modell für den Umraum des Körpers zu verwenden. So können wir klären, wohin wir uns gerade bewegen.
Am besten ist es, die verschiedenen Facetten der Dynamik auszuprobieren. Mit nur acht Antriebs-Elementen und deren Zweier-, Dreier und Vierer-Kombinationsmöglichkeiten, hat Laban die vielseitigen Nuancen von Energiequalitäten in der Bewegung erfasst. Dieses total neue Know-how für Bewegung erinnert etwas an das Periodensystem der Chemie, das ebenso die Vielfalt der möglichen Verbindungen zunächst auf Elemente reduziert. Wie wir uns bewegen, bekommt dadurch eine überschaubare Ordnung. Es ist spannend, dies systematisch zu erproben.
Pausen unterstützen die Gesundheit, auch in der Bewegung ist es angenehm, in einer bestimmten Form innezuhalten. Das Know-how der stillen Formen von Laban hat sich mit Bartenieff um die bewegte Form erweitert. Hierbei unterscheidet Bartenieff, ob wir uns in der Bewegung auf uns selbst oder das Umfeld beziehen, z. B. ob wir unsere Körperform aktiv an etwas anpassen. Unter den formenden Aspekten von Bewegung wird einerseits die plastische Form des Körpers in einem Moment des Innehaltens benannt, aber auch wie wir diese Form durch Bewegung verändern.
Mit dem Verändern der Phrasierungen der zuvor benannten Elemente kann dieselbe Phrase doch ganz anders wirken. Es ist offensichtlich: Wenn wir drei Elemente haben – ich nenne sie „A-B-C“ – und diese in eine andere Reihenfolge „C-B-A“ bringe, dann werden sie eine andere Aussage bekommen. Genauso verhält es sich, wenn wir in der Phrase „A-B-C“ beispielsweise das „A“ anfangsbetonen oder das „C“ endbetonen. Dieses Know-how über die zeitliche Abfolge und der Betonung ist an die Musik angelehnt. So können wir im Spiel mit der Phrasierung aus derselben Phrase vielfältige Variationen herauskristallisieren.
Vielen Menschen macht das Bewegen am meisten Spaß, wenn sie mit anderen in Interaktion sind. Allerdings ist dies nicht immer möglich. Daher können die verschiedenen Beziehungsaspekte in der Bewegung auch durchaus mal mit einem Objekt (z. B. einem Ball) oder auch zwischen Körperteilen erforscht werden. Lassen Sie uns beispielsweise den Unterschied zwischen berühren und unterstützen herausarbeiten: Berühren ist ohne, und unterschützen ist mit Gewichtsabgabe. Das Know-how über diese Unterschiede in den Stufen der Beziehung ist ein wichtiger Faktor in der Interaktion mit Objekten sowie mit Menschen – besonders wenn wir uns mit einem Partner bewegen, z. B. beim Tango oder der Kontaktimprovisation.
Die vielfältige Palette der genannten Möglichkeiten auszuprobieren und in das eigene Bewegungstraining einzubauen, erweitert nicht nur die kreativen Fähigkeiten, sondern verstärkt durch diese Abwechslung den Spaßfaktor und fördert somit auch die das gesundheitliche Wohlbefinden. Immer wieder die gleichen Muskeln, Bänder und Gelenke zu belasten, ist offensichtlich ungesünder. Das Potenzial liegt darin, diese schonend, umfangreich und abwechslungsreich zu trainieren. Das gilt für den Tanz wie auch für den Sport.
Zur Gesunderhaltung durch Bewegung gehört ebenso die Frage nach der effektivsten Ausführung. Abweichungen von einer optimalen Bewegung gibt es überall, bei Gesunden wie auch bei Kranken, bei Profi- wie auch bei Laientänzern und Sportlern. Das Know-how der anatomischen Gegebenheiten und koordinativen Bewegungsmuster, die Bartenieff in die „Laban/Bartenieff Bewegungsstudien“ einbringt, stammt aus ihrer Arbeit in der Physiotherapie. Wenn wir uns mit den „Bartenieff Fundamentals“ vor meinem Training aufwärmen, dann haben wir unseren Körper in allen grundsätzlichen Möglichkeiten einmal vorbereitet. Auf diese „Fundamentals“ kann dann ein anderes Training folgen, welches mehr in die Technik einer Tanz- oder Sportart geht … oder auch in die Bewegungsimprovisation – alleine oder mit anderen.
Nicht nur das Wissen über die effektivste Ausführung, sondern auch der somatische Ansatz unterstützt auf diesem gesundheitsorientierten Weg. Das Hineinspüren in unseren eigenen Körper in der Bewegung hilft dabei, Signale des Körpers frühzeitig aufzuspüren. Denn jeder Körper ist schon von der Anatomie her anders ebenso von seiner Prägung. Diese Einzigartigkeit jedes Menschen hat Bartenieff zum Prinzip erhoben. Was bei anderen gut geht, kann bei mir schon zu einer erhöhten Belastung führen. Wenn wir in unserer eigenen Bewegung wahrnehmen können, wo unsere momentanen Grenzen liegen, dann sind wir schon auf einem lange andauernden gesundheitserhaltenden Weg.


Antja Kennedy ist seit 1985 freischaffende Tanzpädagogin, Tänzerin, Choreographin und Laban/Bartenieff Bewegungsanalytikerin (CMA) und Coach. Sie gibt wöchentliche Kurse, Workshops und ist Direktorin der EUROLAB Zertifikatsprogramme in Laban/Bartenieff Bewegungsstudien, sowie Autorin und Herausgeberin des Buches „Bewegtes Wissen“ (Logos Verlag). Weitere Infos: www.antjakennedy.de und www.eurolab-programs.com

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Feuer – Die Macht des Universums ... von Veny Bachmann


Als das Feuer durch einen Blitz vom Himmel kam und Holz in Brand setzte, entstanden Licht und Wärme. Der Mensch versuchte das vom Himmel kommende Geschenk des Feuers selbst zu erzeugen. Die Annahme: Da das Holz durch den Blitz brannte, musste das Feuer im Holz vorhanden sein. Damals folgten die Menschen diesem Hinweis des Himmels und versuchten das Feuer aus dem Holz hervorzuziehen. Bei ihren Versuchen stellten sie fest, dass sich durch Reibung mit trockenem, hartem Holz auf weichem trockenem Holz schnell Hitze entwickelte, womit trockener Zunder entflammt werden konnte. Mit etwas Geduld und Geschick war es den Menschen nun möglich, jederzeit das ursprünglich vom Himmel kommende Feuer auf Erden selbst zu entzünden. Und mit der Zeit entdeckten die Menschen, dass sie mit speziellen Steinen, die sie aufeinanderschlugen, ebenfalls Feuerfunken erzeugen konnten.
Das vom Himmel kommende Feuer wurde als göttliches Geschenk gesehen und in den heiligen Ritualen der Menschen, in ihren Religionen und Feuerkulturen, fest eingebunden. Auch heute noch wird das Feuer in Kugeln, in denen zum Beispiel Weihrauch verbrannt wird, als Bestandteil fester Rituale in verschiedenen Kirchen und Klöstern gepflegt.
Das Feuer in seiner Natur als schöpferisches Atom war zu allen Zeiten immer ein Symbol von Gottes Gegenwart, Führung und Macht. Angefangen von der Verehrung der Sonne als dem Ursprung des Feuers, der ewigen Flamme auf den Altären der Völker des Altertums und der heiligen Feueropfer, bis zu der christlichen Feststellung, dass „unser Gott ein verzehrendes Feuer" ist, sind uns viele verschiedene Symbolformen des Feuers aus den alten Religionen bis in unsere Gegenwart bekannt. Die höchste Form des Feuers ist das „Geistige Feuer des Göttlichen Lebens“, das bis heute noch seinen Platz in der Verehrung religiöser Handlungen hat. In vielen gleichnishaften Formen wird diese „Göttliche Strahlung“ des Feuers dargestellt.
Die Flamme des physischen Feuers ist eine der größten Gaben Gottes.
Sie steigt beständig himmelwärts und lenkt so unsere Aufmerksamkeit nach oben. Sie symbolisiert den Ursprung und weist uns den Weg zurück zur Quelle aller Schöpfungen.
Das Feuer Gottes ist in allen Dingen enthalten. Es kann auch aus Steinen hervorgezogen werden, wenn man sie mit Stahl schlägt, und dient den Menschen mit seinem Licht und seiner Wärme.
Die Flamme des irdischen Feuers ist sichtbar und in ihrer Wirkung, Dinge zu verbrennen, real. Dennoch können wir sie nicht greifen. Sie ist in ihrem Wesen zwar sichtbar aber feinstofflich. Als sichtbare feinstoffliche Energie weist sie uns auf den Weg der Evolution; in dem alles sichtbare Stoffliche durch Entwicklung zum Feinstofflichen, zum Geistigen werden soll.
Die Flamme des physischen Feuers zeigt uns mit ihrem Licht ihre Allmacht.
Eine Kerze in der Mitte eines dunklen Raumes entzündet, vertreibt sofort jegliche Finsternis.
Als Sonnenlicht ist es so stark, dass wir nicht ohne Schaden zu nehmen in die Sonne schauen können. Ihre Energie verbrennt alles, löst auf und ist daher die größte auflösende Macht im Universum. Als feinstoffliche Energie ist sie auch das geistige Feuer, das wir durch unsere Konzentration entfachen und lenken können.
Mit ihrer geistigen Kraft können geübte Schüler des geistigen Weges in Einklang mit den heiligen Naturgesetzen feinstoffliche wie stoffliche Dinge und Situationen umwandeln, und soweit das Karma des Lebens dies zulässt, auch auflösen.
Mit diesen Erkenntnissen und der sich daraus dann entwickelnden Beherrschung des Feuers übernahm der Mensch in der Evolution als einziger, der das Feuer handhaben konnte, die Verantwortung für die Erde. Feuer ist elementar wie im Erdinneren und allmächtig in den himmlischen Welten – Feuer ist das Leben.


Veny Bachmann im Oktober 2022

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